Sehnsuchtsorte, Erinnerungsräume - Annäherung an ein literaturgeographisches Konzept
Seminar
Nach einer kurzen Einführung in den Bereich der Literaturgeographie und in literaturwissenschaftlich fruchtbare Raumtheorien wird die Kategorie der "projizierten Orte" besonders eingehend beleuchtet. Diese werden, so unsere Definition, von den handelnden Figuren nicht "betreten", vielmehr werden sie im Modus von Erinnerungen, Sehnsüchten, Tag- und Nachtträumen in die effektiven Handlungsräume eingeblendet. In Flauberts Madame Bovary (1856) träumt die Titelheldin in der normannischen Provinz von Paris. Ebenso sehnen sich Tschechows Drei Schwestern (1901), mehr oder minder gefangen in einer langweiligen Garnisonsstadt, nach dem pulsierenden Moskau. Auch Max Frischs Montauk (1975) ist ein gutes Beispiel: Während die elegische Haupthandlung in New York und auf Long Island angesiedelt ist, besteht das Erzählte über weite Strecken aus Rückblenden, Erinnerungsfragmenten des Ich-Erzählers, durch die Schweizer Regionen wie das Tessin und Zürich gewissermaßen in die Haupthandlung "hereingeholt" werden.
An ausgewählten Textbeispielen soll untersucht werden, wie die projizierten Räumen eingeführt und geschildert werden (literarische Technik), welche Funktionen sie im Erzählgefüge erfüllen (inhaltliche Analyse) und mit welchen psychologischen Begriffen, die Figurenpsyche betreffend, die Modi ihres Erscheinens beschrieben werden können (Träume, Alpträume, Sehnsüchte, Erinnerungsfetzen, Phantasien, Halluzinationen etc.). Abschließend wird die Frage diskutiert, ob die erstaunliche Vielfalt der ?projizierten Räume? sich sinnvoll in eine Typologie überführen lässt. Auch wird in einer Sitzung untersucht, ob es Parallelen zwischen literarischer und filmischer Technik hinsichtlich der Produktion projizierten Räume gibt.
Hinweis: In das Seminar werden auch aktuelle, noch ungelöste Forschungsfragen einfließen, die gegenwärtig im interdisziplinären Projekt 'Ein literarischer Atlas Europas' Thema sind: www.literaturatlas.eu
Dozentin: Dr. phil. Barbara Piatti Bochmann
Freitag, 10:15–12:00, Deutsche Philologie, Nadelberg 4, Seminarraum 5
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