Orte der europäischen Religionsgeschichte. Teil 2: Medienorte, Gegenorte und Schweizer Orte

Ringvorlesung, Frühjahrsemester 2012, Mittwoch 18-20 Uhr, Kollegiengebäude Hörsaal 114

Die Vorlesungsreihe setzt im Anschluss an die gleichnamige Vorlesungsreihe des Frühjarsemsters 2011 drei Akzente zur Beschreibung der europäischen Religionsgeschichte: Medienorte, Gegenorte und Schweizer Orte. Die Lokalisierung der europäischen Religionsgeschichte zeigt eine Ambiguität in der Vielfalt ihrer Erscheinungs-Orte: Zu ihnen gehören neben den geographischen Orten der Verdichtung struktureller Religionsgeschichten auch die Gegenorte zum Mainstream der institutionalisierten Ausprägungen der Religion. Und mit den modernen Kommunikations-Medien wird auch eine gleichzeitige De-Lokalisierung und Internationalisierung der lokalen (z.B. Schweizer) Religionsgeschichte sichtbar. Die Vorlesungsreihe wird auch diesmal vom Fachbereich Religionswissenschaft in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Kulturelle Topographien für die Theologische Fakultät organisiert. Die Vorträge versammeln diesmal gezielt Fachvertreterinnen und Fachvertreter der Geschichts- und Religionswissenschaft sowie der Medienwissenschaft.

Konzept und Organisation: Prof. Dr. Jürgen Mohn, Religionswissenschaft, Universität Basel

Programm

Programm

22. Februar 2012 Auschwitz: Der Gott, der schwieg, und vorlaute Sinndeuter. Eine europäische Religionsgeschichte fokussiert auf einen Erinnerungsort
Prof. Dr. Christoph Auffarth (Religionswissenschaft, Universität Bremen)
Für die Geschichte des ‚Dritten Reiches‘ - welcher Erinnerungsort eignet sich, der nicht der Selbstdarstellung und Propaganda der Nationalsozialisten verfällt: München, Berlin, Braunschweig? Warum Auschwitz, Chiffre für das unglaubliche Verbrechen? Ist das nicht eher ein Vergessensort? In drei Perspektiven soll der Konflikt um Erinnern und Vergessen der Tötungsfabriken in eine Europäische Religionsgeschichte integriert werden: Christianisierung und Germanisierung Polens mit seinem hohen Anteil an Juden, die jüdischen Versuche, der Katastrophe einen Sinn zu geben, die katholischen Ansprüche auf den Ort ihrer Märtyrer.

7. März 2012 Der Papst, die Antike und der Sultan. Kultur und Religion in der Renaissance
Prof. Dr. Lukas Burkart (Geschichte, Universität Luzern)
Von Italien ausgehend, verbanden sich in der Renaissance das Christentum mit der Wiederentdeckung der paganen Antike zu einem Projekt kultureller Modernisierung, die christlich und europäisch gleichermassen verstanden wurde und wird. Dem gegenüber stehen historisch jedoch die engen Beziehungen Italiens ins östliche Mittelmeer und in den Orient als „nicht-lateinische“, „nicht-christliche“ und „ausser-europäische“ und somit vermeintliche Gegen-Orte. Im Vortrag soll die Frage nach kulturellen Interaktionen zwischen Italien und diesen „Gegen-Orten“ für die Geschichte der Renaissance untersucht werden.

14. März 2012 Von Gegenorten zu neuen Brücken- und Heimatorten: Moscheen, Tempel und Pagoden in der Schweiz.
Prof. Dr. Martin Baumann (Religionswissenschaft, Universität Luzern)
In der Schweiz finden sich ca. 600 bis 700 muslimische Moscheen, buddhistische Pagoden, hinduistische Tempel und Sikh-Gurdwara.  Fungierten die Orte zuerst als «Gegenorte» zur Schweizer Gesellschaft, um emotionalen Rückhalt und Unterstützung in der teilweise abwehrenden Schweiz zu erhalten, so wandelten sie sich mehr und mehr zu Heimat- und Brückenorten, die Schritte der Integration ermöglichen und erleichtern. Der Vortrag stellt anhand von Bildern und neuen Forschungsresultaten diese in der Schweiz vielfach unsichtbaren und unbekannten Welten vor.

21. März 2012 Das Grab der Volumnier: Gegenort zum Diesseits und Ort der europäischen Religionsgeschichte
Dr. Matthias Egeler (Religionsgeschichte, Universität Cambridge)
Das Felsengrab der Volumnier inszeniert sich selbst als gleichzeitig Analogie und Gegenort zum Diesseits, wo in den Medien Stein, Ton und Farbe das Jenseits in Szene gesetzt, mit dem Grab identifiziert und ihm zugleich wieder entzogen wird. Darüber hinaus verweist die Bilderwelt dieses Grabs zudem auch auf eine weitläufige geistesgeschichtliche Eingebundenheit, und so lässt sich an diesem etruskischen Familiengrab exemplarisch beobachten, wie eine solche Inszenierung des Jenseits nicht nur einen lokalen Gegenort des Diesseitsdarstellt, sondern auch zum Kreuzungspunkt überregionaler religionsgeschichtlicher Linien wird und zu einer Reise durch scheinbar ganz disparate Teile der europäischen Religionsgeschichte einladen kann.

28. März 2012 Religiöse Theaterkonzeptionen. Die Theaterbühne als religiöser
Medien-Ort in der Europäischen Religionsgeschichte des 20. Jahrhunderts

Dr. des. Adrian Hermann (Religionswissenschaft, Universität Basel)
Wie in der griechischen Antike erscheint auch in der Moderne die Bühne für viele Praktiker und Theoretiker des Theaters nicht nur als Ort ästhetischen Geschehens, sondern als Ort zentraler Grenzerfahrungen. Anhand der Theaterkonzeptionen von Adolphe Appia, Edward Gordon Craig und Jerzy Grotowski entwirft der Vortrag eine Perspektive auf die Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts, in der sich das Theater als Ort einer eigenen religiösen Medialität erweist.

4. April 2012 „Der occidentale Erbfeind“ - Verbreitung und Einfluss antifranzösischer Publizistik  in der Eidgenossenschaft des späten 17. Jahrhunderts
Prof. Dr. Thomas Lau (Geschichte, Universität Freiburg)
Die Beinamen, mit denen die europäische Publizistik des späten 17.Jahrhunderts Ludwig XIV. bedachte, waren vielfältig. Als „occidentaler Erbfeind“ wurde er bezeichnet, als neuer „Nero“, als Zerstörer Europas oder als „Antichrist“. Wie ihr König, so wurde auch das Volk der Franzosen als von Natur minderwertig, zerstörerisch und barbarisch beschrieben. Auch in der Eidgenossenschaft, die mit Frankreich in einer vielfachen, formalisierten Interdependenz verbunden war, begannen diese Argumentationsmuster an Bedeutung zu gewinnen. Wer unterstützte diesen Wandel im Verhältnis zum westlichen Nachbarn und welchen Einfluss entfaltete er? Wandelte sich mit dem Bild Frankreichs auch das Bild, das die Eidgenossen von ihrem eigenen „Stand“ ihrer „Republic“, ihrer „Nation“ entwickelten?

11. April 2012 Die Verortung des Geistes in der Moderne - Hegel und Marx
Prof. Dr. Andreas Arndt (Philosophie, Humboldt Universität Berlin)
Die Philosophie kann in der europäischen Religionsgeschichte der Moderne als Hegelschen Ort und Medium des Geistes und als Marxscher Gegenort der Religionskritik beschreiben werden. In der (europäischen) Moderne kommt für Hegel der Geist zu sich und erfasst sich als Freiheit: religionsgeschichtlich in der Reformation, politisch in der Französischen Revolution, philosophisch in der Klassischen Deutschen Philosophie. Für Marx ist die Verwirklichung der (Hegelschen) Philosophie Konsequenz einer radikalen Kritik der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit, welche die Religionskritik voraussetzt. Der Vortrag zeigt die Brüche, aber auch die bisweilen überraschenden Kontinuitäten in dieser Denkbewegung.

18. April 2012 Von der Seidenstrasse zur Datenautobahn. Zur Beschleunigung religiöser Transferprozesse durch die elektronischen Medien
Prof. Dr. Oliver Krüger (Religionswissenschaft, Universität Freiburg)
Dass religiöse Traditionen stets auch durch den Austausch und die Abgrenzung mit ihrer religiösen Umwelt gekennzeichnet sind, zeigt das Beispiel der antiken Seidenstraße in besonderem Maße. Was aber bedeutet die Beschleunigung der Kommunikationsprozesse durch Radio, Fernsehen und besonders durch das Internet für die gegenwärtige Entwicklung der Religionen in einer globalisierten Welt?

2. Mai 2012 Orte des Zweifels: Zu Glaubenszweifel und Nichtglauben im lateinischen Mittelalter
Prof. Dr. Dorothea Weltecke (Geschichte, Universität Konstanz)
Dass Gott vielleicht doch gar nicht existiert, dass er sich mindestens wenig für das Geschick der guten und armen Menschen interessiert oder aber offenbar gar nicht imstande ist, für die Bauern besseres Wetter bereitzustellen - dieser Gedanke kam auch im Mittelalter öfter auf als unsere Vorstellungen vom «Zeitalter des Glaubens» vermuten lassen. Wo und bei wem wurden solche Gedanken verortet? Und wo wurden sie womöglich auch tatsächlich geäußert?

9. Mai 2012 Religion und Internet. Die neuen Priester der Links.
Prof. Dr. Roberto Simanowski (Medienwissenschaft, Universität Basel)
Das Internet übersetzt die Bedeutung „Verbindung“ in religio konsequent technisch in Form von Links, Share- und Like-Buttons. Dieses scheinbare Missverständnis rettet das Projekt Moderne durch Radikalisierung: Metaphysische Orientierungslosigkeit weicht permanenter phatischer Kommunikation im Zeichen der Erlebnisgesellschaft. So ist das 21. Jahrhundert keines der Religion, sondern der sozialen Netzwerke; und der neue Priester ist der Programmierer.

16. Mai 2012 Interaktiv, transmedial, virtuell - Religiöse Orte und neue Orte der Religion im Zeitalter des Internet
Nadja Miczek, MA (Religionswissenschaft, Universität Luzern)
Mit der Einführung und Popularisierung des Internet Anfang der 1990er Jahre wurde die Europäische Religionsgeschichte um einen zentralen Medien-Ort reicher. Ob Online-Gottesdienste, virtuelle Tempel oder Gedenkseiten für ›tote‹ Avatare – das Internet zeigt sich längst als komplexe Aushandlungsplattform von Religiosität, dessen Vernetzungsstrukturen die Transmedialität und Dynamik von Religionen fördert. Welche neuen Orte bzw. Räume für Religiosität sind hier zu finden? Wie werden bestehende religiöse Orte in das Internet eingebunden? Welche Konsequenzen hat die Nutzung des Internet für die Entwicklung der Europäischen Religionsgeschichte?

23. Mai 2012 Die letzte Freiburger Hexe und der Greyerzer Käse
PD Dr. Kathrin Utz Tremp (Mittelalterliche Geschichte, Universität Lausanne/Staatsarchiv Freiburg)
Die letzte Freiburger Hexe, Catherine Repond, genannt Catillon (hingerichtet 1731), stammte aus dem gleichen Gebiet, in dem schon damals der Greyerzer Käse hergestellt wurde. Der bettelnden alten Frau wurde die Milch nicht selten verweigert, weil man diese lieber in Form von Käse nach Frankreich ausführte.