Ringvorlesung der Theologischen Fakultät: Orte der europäischen Religionsgeschichte

Die Vorlesungsreihe wird vom Fachbereich Religionswissenschaft (Prof. Dr. Jürgen Mohn) in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum Kulturelle Topographien für die Theologische Fakultät organisiert. Die Vorträge versammeln Fachvertreterinnen und Fachvertreter von der Geschichts- und Rechtswissenschaft bis zur Wirtschafts- und Medienwissenschaft, um unterschiedliche disziplinäre Perspektiven auf eine alte Frage zu gewinnen: Was zeichnet die Pluralität der religiösen Phänomene in der Geschichte Europas aus? ‚Orte‘ sind das verbindende Stichwort. Sie sollen in geographischer (Rom, Stonehenge, Istanbul, Ascona) und topographischer (Agora, Gasthaus, Harem, Labor, Bühne) Hinsicht und als Medien-Orte (Bild, Verfassung) verstanden werden. Die religionsgeschichtlichen Fragestellungen und die unterschiedlichen Fachperspektiven sollen an diesen ‚Orten’ beispielhaft gebündelt und konkretisiert werden. An ihnen können die unterschiedlichen gesellschaftlichen Dimensionen und Aspekte religiöser Phänomene, aber auch die zeitlichen Dynamiken der europäischen Religionsgeschichte aufgezeigt werden.

Programm

Programm

23. Februar 2011. ‹Heilige Stadt› oder ‹Hure Babylon›? Luthers  Rom-Erleben vor 500 Jahren. Prof. Dr. Martin Wallraff, Theologie, Basel
Vor 500 Jahren besuchte Martin Luther im Auftrag seines Ordens Rom. Im Rückblick erscheint die Reise des Reformators als Begegnung von welthistorischer Bedeutung. Was für ein Rom erlebte Luther damals? Und wie berichtet er über seine Eindrücke? Wäre die europäische Religionsgeschichte ohne die Begegnung dieses Menschen mit diesem Ort anders verlaufen?

2. März 2011. Agora: Stadt/Vorstadt: Der Antagonismus Bürger/Fremde (Metöken) in der Antike. Prof. Dr. Birger Priddat, Politische Ökonomie, Witten/Herdecke
Die Polis wurde durch die Vollbürger gebildet; die Halbbürger lebten vor der Stadt und waren vom politischen Leben ausgeschlossen. Ihr Metier war der Handel, das Gewerbe. Die Spannungen bestimmten die Dynamik der Poleis. War die Polis ein Kult der Politik? Aber war die Politik nur dann erfolgreich, wenn die Metöken wirtschaftlich erfolgreich waren? Ist Aristoteles‘ Ökonomik eine Ökonomik des Vollbürgerkultes?

9. März 2011. Stonehenge als Kultstätte, 8000 v. Chr. bis heute. Prof. Dr. Bernhard Maier, Religionswissenschaft, Tübingen
Von der Steinzeit bis zur Gegenwart war Stonehenge Schauplatz religiöser Rituale. Der Vortrag gibt einen Überblick über die wechselvolle Geschichte der Anlage und konzentriert sich dabei auf zwei Fragen: Welche Faktoren führten immer wieder zum Abbruch religiöser Traditionen, und welche bestimmten Vernachlässigung oder aber Revitalisierung älterer Traditionselemente?

23. März 2011. «Wir alle ... werden so in sein eigenes Bild verwandelt» (2 Kor 3,18) — das Bild als Ort der Begegnung abendländischer Mystik. PD Dr. Michael Bangert, Kirchengeschichte, Bern/Basel
Das Bild als Manifestation des Göttlichen widerspricht dezidiert der biblischen Tradition: «Du sollst Dir kein Bildnis machen...». Doch die westliche Spiritualität misst dem Bild als kommunikativem Transmitter in Bezug auf mystische Begegnungen und Erfahrungen eine hohe Kompetenz zu. Diese kann sich bis zur sakramentalen Performance steigern. Zudem vermag das Bild das mystische Erleben zu induzieren.

30. März 2011. Die Götter im Gasthaus (Hölderlin). Prof. Dr. Alexander Honold, Germanistik, Basel
In der Poetik und Kulturtheorie um 1800 (Hölderlin, Hegel) gewinnt die Orientierung an Ritualen und Mythen der Antike eine kritische und erneuernde Funktion im Hinblick auf sinnbasierte Prozesse der Gemeinschaftsstiftung. Anhand von Hölderlins Gasthaus-Elegie soll vor allem die Konzeption der Götterbewirtung, der ‹Theoxenien›, näher betrachtet werden.

6. April 2011. Sünde und Gericht, Vergebung und Vergeltung – Die Erfindung des Strafrechts aus der Religion. Dr. Harald Maihold, Rechtswissenschaft, Basel
Welchen Einfluss hatten theologische Vorstellungen von Sünde und Gericht, Vergebung und Vergeltung bei der Herausbildung des modernen Strafrechts? Welche Rolle spielten die Häresieprozesse desSpätmittelalters und die ‹Schule von Salamanca› bei der Durchsetzung des Strafkonzepts? Der Vortrag führt an ‹Orte›, an denen Religionsgeschichte und Strafrechtsgeschichte verschmelzen.

20. April 2011. Die Bundesverfassung von 1848 ­— Topographie des gelobten Landes? Prof. Dr. Felix Hafner, Rechtswissenschaft, Basel
Die Bundesverfassung von 1848 war ein Produkt der Sieger des Sonderbundskrieges. Sie ersetzte ohne Rechtsgrundlage den Bundesvertrag von 1815. Legitimierend wirkten dabei die in der Verfassung festgehaltenen Staatszwecke wie etwa der Schutz der Freiheitsrechte und die Wohlfahrtsförderung. Lässt sich dieser Übergang zur Bundesverfassung auch religionsgeschichtlich deuten?

 

 

27. April 2011. Der Harem als Projektionsraum der europäischen Aufklärung. Prof. Dr. Claudia Opitz-Belakhal, Geschichte, Basel
In den Perserbriefen zeichnete Montesquieu in religions- und kulturkritischer Weise das Bild des Harem als Ort der weiblichen Unfreiheit und der männlichen Tyrannei. Das Echo auf den Roman reichte von einer Indizierung durch die päpstliche Kurie bis zum Gegenentwurf von Lady Wortley Montagu. Im Vortrag sollen diese unterschiedlichen Deutungen des Harem vorgestellt und nach Bezugnahmen auf deren verborgene oder explizite religiöse Begründungen aus Sicht der Europäer befragt werden.

4. Mai 2011. Orte der Wissenschaft: Das Labor der Alchimisten in der Neuzeit. Prof. Dr. Kaspar von Greyerz, Geschichte, Basel
Die Versuche mit der Luftpumpe in Sitzungen der frühen Royal Society waren ein wichtiger Bestandteil der Auseinandersetzung mit der descart‘schen Physik zum Nachweis der Möglichkeit eines Vakuums. An diesem Nachweis waren auch etablierte Wissenschaftler wie Robert Boyle und Isaac Newton interessiert, die sich intensiv mit Alchemie beschäftigten. Es ging dabei letztlich um Strategien zur Erklärung der Natur als göttliche Schöpfung.

11. Mai 2011. Wie heilig war den Osmanen Istanbul?. Prof. Dr. Maurus Reinkowski, Islamwissenschaft, Basel
Ihre Legitimität begründeten die Osmanen unter anderem mit der erstaunlichen Langlebigkeit ihrer Dynastie, vor allem aber konnten sie sich auf ihr Hüteramt über die heiligen Stätten des Islam, Mekka und Medina, berufen. Istanbul dagegen war in seiner Eigenschaft als zentraler Herrschaftsort unbestritten. Aber hatte Istanbul für die osmanische Dynastie einen (quasi-)sakralen Charakter? Wie heilig also war den Osmanen Istanbul?

18. Mai 2011. Bayreuth und Wagner: Religion auf der (Opern-)Bühne. Prof. Dr. Ulrich Berner, Religionswissenschaft, Bayreuth
Die unübersehbare Präsenz religiöser Elemente in den Wagner-Opern und die ungebrochene Kontinuität der vom Komponisten selbst begründeten Festspiele lassen es sinnvoll erscheinen, Bayreuth als einen Ort der europäischen Religionsgeschichte zu betrachten. Doch gilt es eben diese Kontinuität im Vergleich mit religiösen Opern anderer Komponisten, die heute vergessen sind, zu erklären.

25. Mai 2011. Wissenschaft am Fuss des Monte Verità: Der Eranoskreis. Dr. Barbara von Reibnitz, Geschichte/Germanistik, Basel
Ein singuläres Gravitationsfeld neureligiöser Reformbewegungen der Jahrhundertwende war der ‹Berg der Weisheit› oberhalb von Ascona. Nicht zufällig fand sich an seinem Fuss der Eranos-Kreis zusammen, mit jährlichen Tagungen, auf denen seit 1933 international renommierte Wissenschaftler das Projekt einer interdisziplinären Spiritualität verfolgen.

1. Juni 2011. Die MedienOrte der europäischen Religionsgeschichte. Prof. Dr. Jochen Hörisch, Germanistik, Mannheim
Athen, Jerusalem, Bethlehem, Rom, Byzanz, der Jakobsweg, Mekka, Wittenberg, der Silvaplanasee — religiöse Erleuchtungen und Einsichten sind meist an bestimmte Orte gekoppelt und sollen doch (zumeist) weltweit offenbar sein. Deshalb müssen diese immobilen Orte medial mobil gemacht werden: Thorarollen, Bücher, Hostien, Kelche, Reliquien, Fetische, Gebetsteppiche, Rosenkränze: in der religiösen Wahrnehmung sind und bedeuten sie selbstredend mehr als andere Dinge, sie sorgen für die mediale Mobilmachung religiöser Topoi. Dem Verhältnis von Religion und Medien soll der Vortrag nachgehen.